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Ganzjährig extensive Beweidung fördert die Biodiversität
Siebert, Ina [Ina Siebert2] - 11. Apr 2025, 06:45
Halboffene und offene Landschaften, die durch extensive Beweidung mit Nutztieren wie Rindern, Schafen und Pferden oder Wildtieren wie → Rothirschen (Cervus elaphus) entstehen, sind besonders artenreich. Sie bieten Lebensraum für spezialisierte und seltene Arten. Häufig werden Flächen auf mageren Böden oder an Hängen beweidet, die für andere landwirtschaftliche Nutzungsformen weniger ertragreich sind. Wird die Beweidung aufgegeben, verbuschen sie, und die wertvollen Lebensräume gehen verloren.

Stare auf Schafweide
(c) Ralph Bergs/NABU-naturgucker.de
(c) Ralph Bergs/NABU-naturgucker.de
Verbiss, Suhlen und Tritt der Weidetiere schaffen kleinräumige Lebensräume und ökologische Nischen. Rund die Hälfte aller Pflanzenarten in Deutschland ist an Grünland gebunden.[1] Vogelarten wie → Star (Sturnus vulgaris) und → Bachstelze (Motacilla alba) finden in der niedrigen Vegetation Nahrung. In Dornen- und Stachelgehölzen können Vögel geschützt brüten. Insekten finden besser Nahrung und Rückzugsraum, wenn es niedrige und höherer Vegetation in unmittelbarer Nähe zueinander gibt. Eine wichtige Rolle spielt der Dung der Weidetiere einerseits als Beginn komplexer Nahrungsketten, andererseits zur Umverteilung von Nährstoffen – allerdings nur, wenn die Tiere nicht mit Wurmmitteln behandelt worden sind.[2] Obwohl Projekte großflächig-extensiver Weideprojekte in Deutschland große Erfolge im Artenschutz zeigen, werden nur 0,1 Prozent der gesamtdeutschen landwirtschaftlichen Nutzfläche auf diese Art bewirtschaftet. Um den Rückgang der Biodiversität zu reduzieren, wären mindestens 5 Prozent notwendig.[3]

Rinder bei der ganzjährigen Landschaftspflege
(c) Monika Podgorski/NABU-naturgucker.de
(c) Monika Podgorski/NABU-naturgucker.de
Rund 1 Milliarde Euro investiert die Europäische Union jährlich in Weidesubventionen. Dennoch gelingt es nicht, den Artenverlust in offenen Lebensräumen aufzuhalten. Forschende der Universität Aarhus haben die Hypothese aufgestellt, dass die typische saisonale Beweidung nicht die ökologischen Auswirkungen der ausgerotteten großen Wildpflanzenfresser simuliert, die sich mit diesen artenreichen Gemeinschaften entwickelt haben. An 30 naturnahen Standorten, die nicht, saisonal oder ganzjährig beweidet wurden, untersuchten sie die Vielfalt der Pflanzenarten und die Pflanzendecke. Ganzjährig beweidete Flächen wiesen den größten Reichtum an Arten auf, der vor allem durch den Weidedruck in der Ruhezeit im Winter erhöht wurde. Dadurch können vielfältige Pflanzengemeinschaften der Dominanz artenarmer Gräser entgegenwirken. Ökologische und evolutionäre Mechanismen hinter der Beziehung zwischen großen Pflanzenfressern und Pflanzen, vor allem auf das Gleichgewicht zwischen Gräsern und Kräutern, sollten stärker im Fokus stehen. Die Forschenden plädieren für eine natürliche Beweidung, um den anhaltenden Verlust von Arten zu stoppen, die auf offene und halboffene, an Sträuchern reiche Lebensräume angewiesen sind.[4]
[3] → Nickel, H. & Reisinger, E. (2022): Großflächige extensive Weideprojekte in Deutschland – Wo stehen wir? In: Weiden! - Wege zur Bewahrung der Biodiversität (Hrsg. Akademie für Natur- und Umweltschutz Baden-Württemberg, Beiträge der Akademie für Natur- und Umweltschutz BW, Band 59): 177-190, Hirzel-Verlag, Stuttgart.
[4] Søndergaard, S. A., Ejrnæs, R., Svenning, J.-C., & Fløjgaard, C. (2025). From Grasslands to Forblands: Year-round grazing as a driver of plant diversity. Journal of Applied Ecology, 00, 1–10. DOI: → 10.1111/1365-2664.70047